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Beyond the double Hype – Chancen und Grenzen von Nachhaltigkeit und Innovation in der chemischen Industrie

Die Chemische Industrie unterliegt aktuell einem enormen Handlungsdruck: klimafreundliche Technologien, energiepolitische Souveränität, Innovation sowie Effizienz sind einige der Themen, mit denen sie sich aktuell auseinandersetzen muss. Dazu kommen gesetzliche Auflagen wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. 

Jörg Bärens

Autoren: Jörg Bärens, Lead Solution Engineer VMware; Marina Walther, Praktikantin im VMware System Engineering Team

Dabei hat die Chemische Industrie seit jeher eine starke Wirkung auf andere Wirtschaftszweige. So wurden die Tarifverhandlungen im Oktober dieses Jahres mit der «höchsten Tariferhöhung in der Chemie seit mehr als 30 Jahren» für die 580.000 Beschäftigen abgeschlossen. Dies gilt deutschlandweit für 1.900 Betriebe. Dieser Abschluss stellt eine Art Tarif-Blaupause in einer Zeit der Krise dar, in der die Balance von Mitarbeiterinteressen und Wettbewerbsfähigkeit erhalten werden soll. Die Krise als Chance für technischen Fortschritt zu begreifen, bedeutet ganz konkret in Bezug auf das Thema Künstliche Intelligenz (KI), die bisher erst anfänglich durchdrungenen Aktivitäten rund um künstliche Intelligenz in Richtung Analytik gestützte, funktionale Exzellenz zu treiben. Dabei hat die Verfügbarkeit von Daten und Informationen in Echtzeit das Potential, Entscheidungsfindungsprozesse maßgeblich zu verändern. Das durch KI (EN: Artificial Intelligence, AI) ermöglichte Niveau der Mustererkennung wird wahrscheinlich die Leistungstransparenz in Bezug auf Anlagen und Mitarbeiter, chemische Produkte, Managementteams und einzelne Aktivitäten oder Geschäftsbereiche erhöhen.

KI beflügelt Nachhaltigkeit, aber Nachhaltigkeit fördert auch KI

Die Begriffe künstliche Intelligenz und auch Machine Learning, kurz ML, werden häufig als „magische Zauberwörter“ eingesetzt, wenn es um Modern Applications geht. Intelligente Modelle werden als Blackbox betrachtet und der konkrete Mehrwert von KI in diesen Applikationen ist nur schwer nachzuvollziehen. “Beyond the Hype” soll in diese Blackbox schauen, meint aber auch, konkret zu hinterfragen, welche Chancen sich bereits durch künstliche Intelligenz verwirklicht haben und wie der innovative Einsatz von Technologie das allgegenwärtige, strategische Ziel Nachhaltigkeit anpackt. Interessant zu beobachten ist, dass der Einsatz intelligenter Modelle Prozesse optimiert, Ressourcen einspart, Arbeitsbedingungen verbessert und Risiken gemindert werden – also aktiv auch Nachhaltigkeit und Umweltschutz gefördert werden. Laut Nature Communications ermöglichen KI-Lösungen es Unternehmen, 79 % umweltfreundlicher zu sein.

Zum anderen ist das große, strategische Ziel der nachhaltigeren Chemie eben auch ein großer Innovationsfaktor und treibende Kraft in die Verbesserung von eben diesen modernen Applikationen. Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Marketingbegriff, sondern muss für eine zukunftsfähige Unternehmensausrichtung auch zentrales, strategisches Ziel der Chemicals und Manufacturing Branche sein.

Beyond the Hype: Konkrete Maßnahmen

Anhand umfangreicher Metriken (Druck, Temperatur, Dichte, Viskosität usw.) kann ein mit historischen Daten trainiertes Vorhersagemodell Erkenntnisse ermitteln, die auf bevorstehende Probleme hindeuten könnten. Durch den Einsatz von Sensoren und Kameras, die mit ML-Modellen ausgestattet sind, können die Hersteller ihre KI-gestützten Systeme dazu bringen, Anomalien in Produkten oder Maschinen zu erkennen. Die prädiktive Analytik in der chemischen Produktion kann Unternehmen helfen, ihre Effizienz und Rentabilität zu steigern. Gleichzeitig überwachen sie die Lebensdauer der Anlagen und sehen deren notwendigen Austausch voraus. Auf diese Weise können sie Ausfallzeiten verhindern, was für die betriebliche Gesamteffizienz entscheidend ist.

Beispiele: Die Beleuchtung hat einen erheblichen Einfluss auf den Energieverbrauch eines Chemiewerks, und die Fähigkeiten der künstlichen Intelligenz zu ihrer Optimierung gehen weit über den Einsatz von Sensoren hinaus. Die durch maschinelles Lernen gestützten Systeme können energieeffiziente Beleuchtungseinstellungen ermitteln, die produktives Arbeiten begünstigen und die Fehlerhäufigkeit verringern. Darüber hinaus können sie die Intensität und Verteilung des Lichts an die aktuellen Bedingungen in der Chemieanlage anpassen, indem sie Echtzeitdaten nutzen und diese mit erkannten Produktivitätsmustern kombinieren.

Einer der großen Anwendungsbereiche von ML-Modellen ist die Simulation von Produktionsprozessen, um darauf basierend Vorhersagen zur Qualität und Eigenschaften des Produkts, Ressourcenverbrauch, Energieverbrauch und mögliche Einsparungspotentiale zu treffen. Zahlreiche aktuelle Forschungsbeiträge weisen auf das enorme Potential von ML und AI-Anwendungen hin, um Kreislaufwirtschaft und Supply Chain Management wesentlich zu optimieren.

Ein weiteres Beispiel für einen Circular Economy Approach, der mithilfe von ML-Modellen Vorhersagen über den Energieverbrauch der einzelnen Prozessschritte bei der Herstellung von Kohlefasern trifft, stammt aus dem Jahr 2021: Ein australisches Forscherteam entwickelte ein System zum Recyclen von Abwärme aus dem sehr energieaufwändigen Herstellungsprozess, der im Sinne eines Kreislaufes Kohlefasern als Energie  zur Herstellung von Kohlefasern produziert. Zur präzisen Kalkulation der wiedergewonnenen Energie ist der Einsatz von zwei neuronalen Netzen notwendig, um möglichst genaue Vorhersagen über die Menge an rückgewonnener Energie zu treffen, damit der Herstellungsprozess weiterhin optimal stattfinden kann. Hier handelt es sich also um eine Echtzeit-Prediction von Abwärmeproduktion und der möglichen Energierückgewinnung.

Dieses Beispiel deutet das enorme Potential von AI gestützten Digital Twins von ganzen Produktionsprozessen an. Der Digital Twin soll möglichst genau und zuverlässig das reale Geschehen abbilden, damit Simulationen und Predictions stattfinden, um das Risiko von Fehlentscheidungen stark zu minimieren. Das möglichst realitätsnahe Abbilden von Produktionsstätten und Prozessen zur Rohstoffverarbeitung ist stark abhängig von Echtzeitdaten, wie zum Beispiel der pH-Wert oder die Dichte von Materialien, die Temperatur der Umgebung oder die Abwärme der chemischen Reaktionen. Hier ist es also eine Notwendigkeit, auf solche Echtzeit-Inputs für den Digital Twin zu reagieren, was genau das neuronale Netz oder die künstliche Intelligenz auf Basis von Trainingsdaten gelernt hat. So können Prozesse optimiert werden hinsichtlich nicht nur einzelner Variablen, sondern parallel auch mehrerer gewünschter Resultate, wie zum Beispiel Energieeffizienz, Ressourceneinsparung und ein größerer Durchsatz.

Wie es bereits sinnvoll funktionieren kann, von einer vollkommen modernisierten und digitalisierten Infrastruktur zu profitieren, zeigt uns die Intelligent Mine von BASF und intellisense.io. In diesem Anwendungsfall wird jeder Minenprozess wie Zerkleinerung, Eindickung, Flotation und Rückstandsentsorgung durch eine Optimization as a Service (OaaS) Applikation unterstützt, die die zukünftige Leistungsfähigkeit errechnet, simuliert und prozessspezifische Empfehlungen zur Erkenntnisgewinnung und Optimierung liefert.

Intelligent Mine – Optimal ist eben nicht immer einfach

Die Intelligent Mine ist eine selbst-optimierende Aufbereitungsanlage, welche die Gewinnung und Weiterverarbeitung von Erzen in sämtlichen Prozessschritten intelligent und effizienter macht. Der Hybrid Intelligent Digital Twin ist zusammengesetzt aus Echtzeit Daten als kontinuierliche Inputs, virtuellen Sensoren und Machine Learning Modellen zur Prozesssimulation, einer Performance Prediction zum Vorhersagen der Target Variablen und ein Decision Optimizer, der die vorhergesagten Werte in Kontrollpunkte verwandelt und ein User Interface (UI) dem Control Center bereitstellt. Der Intelligent Mine Decision Optimizer kann kurzfristig auf veränderte Eigenschaften der Umgebung und des Rohstoffs reagieren und Prozesse entsprechend gesetzten Optimierungsvorgaben anpassen.

Optimal ist eben nicht immer einfach und Ziele stehen auch in Konkurrenz zueinander. Der Decision Optimizer kann nun in Echtzeit, Trade-Offs optimal lösen und es bedarf keiner Stichprobenkontrolle oder „Guesswork“ der verwendeten Rohstoffe bzw. einer auch risikobehafteten menschlichen Beurteilung anhand der sehr großen, vorhandenen Menge an Echtzeitdaten. So kann in der Produktionskette schon während die LKWs mit den Rohmineralien beladen anrollen, der Mahlgrad des Schleifers optimal eingestellt werden, um eine maximale Nettometallproduktion für diese bestimmte Erzart und/oder deren Mischungen zu erzielen.

Durch die Intelligent Mine konnten schon Erfolge in Prozessoptimierung, Risikomindering und Nachhaltigkeitsförderung erzielt werden. So sind in Case Studies der BASF angegeben, dass beispielsweise die Verdickungsmitteloptimierung bei großen Westaustralischen Rohstoffaufbereitern zu einer Reduktion des Flockungsmitteleinsatzes von 16 % führte und Prozessdisruptionen um 18% gesenkt werden konnten. Wasser wird so effizienter genutzt und Chemikalien werden eingespart, währenddessen Kosten gesenkt und eine höhere Rückgewinnungsrate erzielt wird. Intelligent Mine hat auch einer großen Goldmine in Kasachstan geholfen, ihren Durchsatz zu erhöhen und dabei Chemikalien und den Energieaufwand zu reduzieren.

Nicht nur beim Thema Nachhaltigkeit in Zusammenhang mit Umweltschutz kann der Decision Optimizer der Intelligent Mine helfen, sondern auch Risikominderung für Beschäftigte und Anwohner hinsichtlich Gesundheit und Sicherheit bringen. So konnten in Chile bei einer großen Kupfermine die verhängten Bußgelder um 27% gesenkt und die Unfallereignisse, die zu einem Austritt von Chemikalien in die Umwelt führten, verringert werden (BASF Intelligent Mine Case-Study).

Energieproblematik, KI-Innovationsrückstau und Technical Dept

Die Chemische Industrie, die von allen industriellen Teilsektoren am stärksten von Gas abhängig ist, wendet sich jetzt, da diese Energiequelle keine sichere Option mehr ist, noch intensiver den erneuerbaren Energien zu. Viele Hersteller führen Photovoltaikanlagen ein, um ihren Strombedarf – zumindest teilweise – zu decken. Diese Lösungen sind in die KI-gestützten Energiemanagementsysteme integriert, so dass das Chemiewerk in Echtzeit das Beste aus der Sonnenenergie machen kann. Die Speicherung von Solarenergie ist aufgrund der derzeitigen Grenzen der Batterieproduktion (und ihrer Auswirkungen auf die Umwelt) nicht so effizient oder einfach.

Aktuell setzen nur 4 von 10 Chemieunternehmen KI in großem Umfang in ihrem Betrieb ein. Der langsame Fortschritt bei der Integration von KI in der Produktion ist auf die folgenden Herausforderungen bei der Umsetzung zurückzuführen:

  • Unterentwickelte Technologien;
  • Mangel an KI-Kenntnissen in der Belegschaft;
  • Mangel an Qualitätsdaten;
  • das Problem des Vertrauens und der Transparenz;
  • Ungewissheit über die Rentabilität der Investition.

Mit dem technologischen Fortschritt werden die Vorteile des Einsatzes von künstlicher Intelligenz in der Chemischen Industrie sukzessive die initialen Implementierungskosten und -aufwände amortisieren. Deshalb ist es gerade jetzt notwendig, weiter in digitale Innovation zu investieren, um langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Branche gerade in Deutschland und Europa sicherzustellen.


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