Joe Baguley, Chief Technology Officer, EMEA, VMware
Was verbindet selbstfahrende Autos, Wearable-Technologie, Windkraftanlagen, die Öl- und Gasindustrie und Augmented Reality? Auf den ersten Blick erst mal nichts.
Trotzdem haben sie etwas gemeinsam: das Edge Computing. Ohne das wäre es sehr kostspielig und mindestens in einem Fall unmöglich, eine ordnungsgemäße Funktionalität zu erreichen. Warum? Um das zu beantworten, müssen wir verstehen, was Edge Computing ist. Edge Computing bedeutet, Daten dort, wo sie erstellt werden, zu verarbeiten und nicht an einem zentralen Punkt oder in einer Cloud.
Geschwindigkeit ist extrem wichtig
Edge Computing ist die Lösung für Probleme mit der Geschwindigkeit von Netzwerken und Anwendungen, die innerhalb dieser Netze genutzt werden. Warum ist das von Bedeutung? Netzwerke und Anwendungen sind die Grundlage für alles, was wir tun. Sie möchten jemanden am anderen Ende der Welt sofort Informationen zur Verfügung stellen? Dann benötigen Sie dazu eine schnelle Netzwerkverbindung. Sie möchten diese Informationen verstehen? Dazu benötigen Sie schnell reagierende Anwendungen.
Ein Beispiel dafür ist das vernetzte Zuhause. Zur Steuerung intelligenter Lampen, der smarten Waschmaschine und dem Kühlschrank, der uns sagt, wann wir mehr Milch brauchen, können wir ein Gerät wie Alexa von Amazon verwenden. Wenn man dann beispielsweise vom Sofa aus das Licht in der Küche ausschalten will, genügt ein entsprechender Sprachbefehl an Alexa, die ihn dann zur Verarbeitung und Erkennung in die Cloud sendet. Danach wird der Befehl an die Cloud des Herstellers des Beleuchtungssystems gesendet, der seinerseits einen Befehl an die Lampe in unserer Küche schickt, das Licht auszuschalten. Das alles dauert nur rund sechs Sekunden, was schneller ist, als vom Sofa aufzustehen, das Licht auszuschalten und sich wieder hinzusetzen.
Der Vorgang funktioniert damit schnell, aber eben nicht sofort. Denn die beteiligten Anwendungen, Netzwerke und Entfernungen sind nicht schnell genug, um Daten im Handumdrehen zu bewegen, zu verstehen und zu bearbeiten. Wenn es nur darum geht, das Licht in der Küche auszuschalten oder eine Nachricht an uns zu senden, dass der Kühlschrank aufgefüllt werden muss, ist das kein Problem.
Das klingt erst einmal nicht lebensbedrohlich, kann es jedoch in anderen Bereichen durchaus schnell werden. Denken wir an das autonome Fahren. Wenn ich in meinem selbstfahrenden Auto auf der Autobahn fahre und das Fahrzeug vor mir plötzlich bremst, muss der eigene Wagen das registrieren, verstehen, was es bedeutet und die richtigen Maßnahmen ergreifen. Bei einer Geschwindigkeit von 112 Stundenkilometern brauche ich 96 Meter oder 24 Autolängen, bis mein Auto zum Stehen kommt. Wenn es sich bei dem Auto um ein autonomes Fahrzeug handelt und die Zeit zur Sammlung und Analyse aller erforderlichen Daten sechs Sekunden dauert, weil alles über ein Mobilfunknetz an einen zentralen Punkt zurückgeschickt werden muss, dauert die Zeit bis zum Anhalten entsprechend länger. Zu lange, denn das eigene Fahrzeug würde dann unweigerlich auf das vorausfahrende Auto auffahren.
In diesem Fall sind weder die Netzwerk- noch die Anwendungsantwortzeit schnell genug. Das selbstfahrende Auto muss daher in der Lage sein, Entscheidungen vor Ort zu treffen, Daten lokal zu verarbeiten und zu speichern. An dieser Stelle kommt Edge Computing ins Spiel. Im Beispiel des autonomen Fahrzeugs bedeutet der Einsatz von Edge Computing, dass das Auto Daten sammeln und analysieren und dann auf der Grundlage der Erkenntnisse handeln kann, ohne Zeit durch die Übertragung zu verlieren. Zwar werden nach wie vor Daten an ein zentrales Rechenzentrum oder eine Cloud gesendet. Das geschieht jedoch, um sie zu sammeln und aus ihnen zu lernen. Diese Ergebnisse werden dann anderen Fahrzeugen zur Verfügung gestellt. Neben der Einsparung von zentralisierten Ressourcen bedeutet das auch, dass das Netzwerk keine großen Datenmengen zurückverlagern muss, was sich positiv auf Kosten und Geschwindigkeit auswirkt.
Mehr Effizienz für eine bessere Anwendererfahrung
Welche Rolle spielt das in anderen Bereichen, etwa bei Windkraftanlagen, Öl und Gas und Augmented Reality? Windkraftanlagen gibt es seit Jahren und sie haben sich bewährt. Doch die Wartung ist kostspielig und kann gefährlich sein, vor allem wenn es sich um einen Windpark auf See handelt. Woher wissen die Betreiber, ob ihre Anlagen effizient genug arbeiten? Sie folgen einer Routine zur Überprüfung und zum Austausch von Teilen, die zu unnötigen Wartungen und hohem Zeitaufwand führt. Mit Edge Computing sammeln und verarbeiten Sensoren an den Turbinen Daten vor Ort. Die Service-Teams werden nur dann informiert, wenn konkreter Handlungsbedarf besteht. Dadurch werden Wartungsmaßnahmen vorausschauender und zielgerichteter durchgeführt. Die Wartung erfolgt nach Bedarf. Die Service-Teams können konkret auf die erhobenen Daten reagieren und die Turbine direkt in Echtzeit warten. Ingenieure werden nur bei Bedarf eingesetzt, Teile nur bei Bedarf ausgetauscht.
Ähnlich ist es auch bei Öl und Gas. Was auch immer Sie über fossile Brennstoffe denken: Tatsache ist, dass die Welt mit Öl und Gas arbeitet. Die Extraktion, Veredelung und Bereitstellung erfordern eine kritische Infrastruktur. Diese Infrastruktur muss funktionieren, da jedes Versagen katastrophale Folgen haben kann. Die Überwachung dieser Infrastruktur ist daher äußerst wichtig, gleichgültig, wo sie sich befindet, sei es mitten in der Nordsee oder an einigen der entlegensten Orte dieses Planeten. Mit Hilfe von Internet of Things-Geräten wie Temperatur-, Luftfeuchtigkeits-, Druck- und Feuchtigkeitssensoren sowie Internetprotokoll-(IP)-Kameras und anderen Technologien erzeugen Öl- und Gasüberwachungsvorgänge eine immense Datenmenge, um wichtige Erkenntnisse über den Zustand ihrer spezifischen Systeme zu gewinnen. Durch den Einsatz von Edge Computing können diese Daten analysiert, verarbeitet und in Echtzeit weitergegeben werden. Dadurch hat der Betreiber die Möglichkeit, Störungen oder Ausfälle bereits vor ihrem Auftreten vorherzusehen und zu verhindern, ähnlich wie bei den Windkraftanlagen. Service-Teams werden ausschließlich im Bedarfsfall eingesetzt und nicht im Rahmen einer Wartungsroutine.
Augmented Reality (AR) erfordert die Überlagerung von Daten mit der optischen Wahrnehmung eines Menschen in Echtzeit. Netzwerkverzögerungen sind hierbei absolut inakzeptabel. Wer jedes Mal, wenn er seinen Kopf dreht, fünf Sekunden warten muss, bis die entsprechenden Daten verfügbar sind, profitiert nicht von AR. Auch hier ist deshalb eine lokale, schnelle Bearbeitung erforderlich.
Ohne Edge Computing wären Innovationen wie das Industrial Internet of Things (IIoT) nicht möglich. Hersteller, die IoT-Sensoren in ihren Fabriken einsetzen, erzeugen monatlich rund vier Petabyte an Daten. Würde diese riesige Datenmenge an einen zentralen Punkt zurückgeführt, würden die Netzwerke zusammenbrechen und die Rechenzentren wären überfordert. Wichtige Erkenntnisse über die Betriebsleistung und Effizienz gingen verloren. Der Einsatz von Edge Computing hingegen ermöglicht es Fabriken, schnell auf Erkenntnisse zu reagieren.
Gleichgültig in welchem Bereich: Geschwindigkeit ist der erfolgskritische Faktor. Anwendungen müssen in Echtzeit reagieren, unterstützt von Netzwerken, die Daten in Echtzeit liefern. Wenn das Zusammentragen, Liefern, Analysieren, Entscheiden und Handeln nicht sofort erfolgen kann, dann kommt die vernetzte Welt zum Erliegen.
Management einer verteilten Zukunft
Was heißt das für Unternehmen? Ist Edge Computing etwas, das sie lediglich im Hinterkopf behalten sollten oder besteht aktuell Handlungsbedarf? Gartner prognostiziert, dass bereits in einigen Jahren 50 Prozent aller Daten außerhalb eines zentralisierten Punktes produziert werden. Heute sind es lediglich zehn Prozent. Das legt nahe, dass sich Unternehmen bereits heute mit dem Thema beschäftigen und die Auswirkungen von Edge Computing kennen sollten. Das ist nicht nur eine Investition in die Zukunft – es kann auch eine neue Geschäftsmöglichkeit sein.
Das bringt aber auch einige Dinge mit sich: Anwendungen und ihre Daten werden sich im Netzwerk verbreiten. Das setzt eine skalierbare, sichere Infrastruktur und eine Betriebsstrategie voraus, die ein dezentrales, verteiltes und sicheres Netzwerk ermöglicht. Dies erfordert globale Konsistenz in Bezug auf Technologie und Betrieb – also die Möglichkeit, den gleichen Ansatz überall anzuwenden, unabhängig von der Umgebung. Edge wird weder die Cloud noch das Hauptrechenzentrum ersetzen. Vielmehr wird Edge Computing als Ergänzung zum Einsatz kommen, damit Unternehmen das Beste aus ihren Anwendungen und Daten herausholen können. Die Fähigkeit, all das in vereinfachter Weise kontrollieren und verwalten zu können, plus eine globale Konsistenz der Systeme wird entscheidend sein. Änderungen, die an einer Anwendung an einer Stelle im Netzwerk vorgenommen werden, werden überall dort repliziert, wo sie oder ihre Daten sich befinden.
Zudem gibt es rechtliche Bestimmungen, insbesondere die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Unternehmen haben viel Zeit und Mühe investiert sicherzustellen, dass ihre Datenpraktiken konform sind. Gilt dies auch für die Speicherung von Daten beim Edge Computing? Richtlinien können nicht nur das abdecken, was im Rechenzentrum ist. Für den Handel gilt es in jedem Laden. Für Automobilhersteller für jedes Auto.
Die Verantwortung liegt bei allen Beteiligten
Nicht zu vergessen: die Sicherheit. Die Kombination von zentralen Clouds und Rechenzentren mit peripheren Ablegern erfordert einen neuen Sicherheitsansatz. Der traditionelle Ansatz mit mehreren Firewalls um den Standort funktionierte, als die Welt noch weniger vernetzt war und die Anwendungen einer Organisation alle in einem Rechenzentrum lagen. Dieser Ansatz funktioniert beim Edge Computing nicht. Anwendungen verlagern sich und sie werden in Clouds gehostet, die ein Unternehmen nicht unbedingt selbst besitzt. Teile der Anwendung arbeiten somit in Bereichen, den eine Organisation möglicherweise nicht physisch kontrolliert. Die zum Schutz dieser Anwendungen und ihrer Daten erforderliche Sicherheit muss diesen neuen Anforderungen entsprechen. Während es früher ausreichte, dass einige Fachkräfte als Sicherheitsexperten im Unternehmen fungierten, müssen nun alle an der Technologie Beteiligten die Verantwortung für die Sicherheit übernehmen. Aufgabe der heutigen Experten ist es, stets auf dem aktuellsten Stand zu sein, die Mitarbeiter laufend zu informieren und dazu beizutragen, dass jeder einzelne Mitarbeiter seine Rolle zum Schutz des Unternehmens versteht.
Auch im Bereich Sicherheit ist globale Konsistenz entscheidend. Konsistenz erlaubt ein Standardbetriebsmodell in allen Umgebungen, ganz gleich ob Cloud, Core oder Edge. Dies ermöglicht wiederum die Implementierung von Sicherheitsmechanismen in allen drei Bereichen gleichermaßen.
Schneller bessere Entscheidungen treffen
Edge Computing ist heute schon nicht mehr wegzudenken. Wir produzieren mehr Daten, die wir auf intelligentere und vernetzte Weise nutzen wollen. Die Fähigkeit, dies unmittelbar und sofort zu tun, wird hierbei entscheidend sein. Edge Computing ermöglicht das. Gleichzeitig aber werden Unternehmen dadurch vor neue Herausforderungen und auch Chancen gestellt. Edge Computing als ganzheitliches System zu betrachten bedeutet, erforderliche Anpassungen vorzunehmen, Anwendungen entsprechend zu sichern und letztendlich bessere Entscheidungen schneller zu treffen.
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