Beitrag von Matthias Schorer, Lead Business Development Manager, IoT, EMEA bei VMware über die Smart Electronic Factory
Die Digitalisierung verändert nicht nur radikal und sehr dynamisch unsere physikalische Welt und lässt neue Geschäftsmodelle entstehen, sie verwandelt auch die Art und Weise wie wir global zusammenarbeiten. Ein spannendes Beispiel, bei dem all diese Faktoren zusammenfließen, entsteht gerade in China – durch einen Technologietransfer aus Deutschland.
In einer hochgradig vernetzten digitalen Welt sind Ländergrenzen und selbst die Weltmeere zwischen den Kontinenten keine echten Hindernisse mehr. Die Digitalisierung führt zu einer Globalisierung 2.0, bei der Kooperationen und Technologietransfers auch über große Strecken möglich und sinnvoll werden. Dabei geht es längst nicht mehr um einige wenige Branchen. Auch die industrielle Produktion wandelt sich drastisch – Stichwort „Industrie 4.0“. Den Begriff haben Sie sicher schon mal gehört, doch können Sie sich auch wirklich etwas darunter vorstellen? Intelligente und vernetzte Systeme, die die industrielle Produktion mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik auf die nächste Evolutionsstufe heben – so in etwa könnte man Industrie 4.0 definieren. Wer damit aber bisher nicht praktisch umgehen musste, findet nur schwer einen Zugang. Auch das ist einer der Gründe, warum dem deutschen Mittelstand so beharrlich nachgesagt wird, er würde bei der Digitalisierung hinterherhinken.
In anderen, wirtschaftlich aufstrebenden Ländern herrscht mitunter große Aufbruchstimmung, die auch politisch gewollt ist und entsprechend gefördert wird. Doch ohne Knowhow kann die Digitalisierung auch hier nicht ihre volle Dynamik ausspielen. China ist so ein Land. Projekte aus dem Bereich Industrie 4.0 haben im Reich der Mitte Hochkonjunktur, doch vielen chinesischen Unternehmen fehlt noch die entsprechende Technologie. Das dürfte sich aber schon bald ändern, denn in der Region Huai’an entsteht gerade ein moderner Industriepark, der einen Technologietransfer aus Deutschland fördern soll.
Lernfabrik nach deutschem Vorbild
Das Institut für Automatisierung und Industrie-Technologie (IAIT) hat in der chinesischen Provinz Jiangsu unter Beteiligung des Fraunhofer-Instituts IOSB-INA eine intelligente Lernfabrik errichtet. Sie ist nicht nur eine Referenzanlage für deutsche Technologie, sondern gleichzeitig eine real erlebbare Testumgebung. Zu Demonstrationszwecken werden hier individuelle Modellautos hergestellt. Die Montagelinie auf einer Ausstellungsfläche von 1.200 qm besteht dabei aus einem RFID-gestütztem Steuerungskonzept, verschiedenen Robotikanwendungen und Lösungen zur intelligenten Qualitätskontrolle. Der Technologietransfer beschränkt sich aber nicht allein auf die Hardware. Die Kooperation umfasst auch ein didaktisches Programm zur Sensibilisierung, Qualifikation und Forschung. Am Ende sollen lokale Unternehmen für eigene Produktionsanlagen inspiriert werden. Damit auch deutsche Unternehmen profitieren und die Kooperation zu einem Win-Win-Szenario für beide Länder wird, besteht die Lernfabrik aus Bausteinen, die deutsche Unternehmen bereits auf dem Markt anbieten.
Wenn Sie an dieser Stelle jetzt denken, die deutschen Unternehmen würden einfach ihr Knowhow verschenken und damit sogar die allgegenwärtig befürchtete Industrie-Spionage überflüssig machen, dann irren Sie sich. Der Technologietransfer über Smart-Factory-Komponenten aus Deutschland beinhaltet weder die Baupläne der Hardware noch den Quellcode der Software. Natürlich wäre ein Nachbau und die Entwicklung eigener Software denkbar, aber nicht sinnvoll. Es würde reichlich Knowhow benötigen und vor allem viel Zeit kosten. Zeit, in der in Deutschland bereits die nächste Generation entsteht.
Smart Electronic Factory – testen unter realen Bedingungen
Ähnliche Anlagen in Deutschland gehen sogar noch einen Schritt weiter. Mit der Smart Electronic Factory (SEF) wurde in Limburg an der Lahn eine intelligente Fabrik gebaut, die als Evaluierungsumgebung für Industrie-4.0-Lösungen genutzt werden kann. Unternehmen können hier die Digitalisierung ihrer Produktion realitätsnah testen, bevor sie ihre Produktivitätssysteme anpassen. Das spart nicht nur viel Zeit bei der Entwicklung, sondern vermeidet auch längere Produktionsausfälle während der Evaluierung neuer Technologien und Komponenten.
Solche Reallabore haben sich bereits in anderen Bereichen der Digitalisierung bewährt. Hier können beispielsweise verschiedene Unternehmen miteinander kooperieren und unter realen Produktionsbedingungen innovative Lösungen für gemeinsame Problemstellungen erarbeiten. Es findet also ein zusätzlicher Wissenstransfer zwischen Unternehmen statt, die das gleiche Ziel verfolgen: Optimierungspotenzial, Fehlerquellen und weitere Anforderungen lassen sich experimentell erforschen, bevor sie die Produktion beeinträchtigen. Soft- und Hardware-Hersteller können davon gleichermaßen profitieren und ihre Produkte schneller und günstiger weiterentwickeln. Ganz nebenbei entsteht eine Interoperabilität, die bei einer herkömmlichen getrennten Entwicklung kaum erreicht wird, bzw. im Nachgang aufwändig hergestellt werden muss.
Wir sollten also Digitalisierung nicht nur als technischen Fortschritt begreifen, sondern auch als neue Form der Kooperation – zwischen Mensch und Maschine. Gelingt uns das, werden wir auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Digitalisierung bewältigen.
Hier erfahren Sie mehr über den Smart Electronic Factory e.V.
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